fraupunkt und das Hornissennest

Hui...die Zeit rast gerade wie ein ICE auf schnellster Strecke. Unser trautes Heim gleicht seit einiger Zeit einem Wespen- NEIN einem Hornissennest. Meine Hormone spielen verrückt - ich werde von der Natur sichtlich "abgeändert", die Stimmung fährt rauf und runter, der Grossätti ist mittlerweile ins Altersheim disloziert, was wieder ein kleines inneres Chaos auslöst und die jungen Erwachsenen zu Hause (ich traue mich schon gar nicht mehr "Kinder" zu sagen) haben auch ihre Krisen und Kriselchen, die Mama jeweils tapfer mitmacht, anstatt sich zu distanzieren.

Aber der Reihe nach. Liebe Frauen in meinem Alter - ich bin 52 jährig. Ist es nicht so, dass diese Zeit ein wenig chaotisch ist? Nicht nur bei mir! Unter meinen Freundinnen findet sich keine, die nicht unmittelbar von Verlust und Vergänglichkeit betroffen ist: der Tod, Demenz, Krankheiten, Eltern die nicht mehr gut für sich sorgen können … Früher haben wir über tolle Feriendomizile, einen guten Coiffeur, den mühsamen Chef, die nervige Kollegin im Büro, quengelnde Kinder und komische Methoden der Lehrer unserer Kinder gesprochen. Heute ist bestimmt jemand am Küchentisch, der gerade einen Elternteil verloren hat oder einen Pflegeplatz für die demente oder pflegebedürftige Mutter sucht. 

Heute sitze ich beim Frauenarzt und hoffe inständig, dass der Abstrich super ist, dass meine Brust keinen Knoten hat und dass ich so schnell wie möglich gesund und munter aus dieser Praxis rausspazieren kann.

Ich setze mich heute mit Rheuma-Ernährung auseinander, wiege meinen ausgelatschten Beckenboden auf dem grossen Gummiball und rolle auf meinen Faszien hin und her, um etwas weniger Schmerzen zu haben.

Tja...das ist Fakt zur Zeit. Aaaaaber es hat auch Vorteile. In der Sauna stolziere ich mit meinen Besenreisern an den jungen, knackigen Menschen vorbei und denke "Erzieht ihr einmal Kinder und Hund, arbeitet und zahlt immer Eure Rechnungen, kriegt Rückenbeschwerden und Kalkschulter und bleibt trotzdem einigermassen beweglich!" Da ist es mir in meinem Alter ziemlich egal, dass ich mittlerweile eine Varilux Brille trage, weil ich das Kleingedruckte auf den Produkten nicht mehr lesen konnte und dass bei mir sogar die Ohrläppchen irgendwie hängen (nebst anderem auch …).

Als ich letzthin das ESAF (Eidg. Schwing- und Alpfest) im Fernsehen verfolgte, wurde mir bewusst, dass ich dauernd mütterliche Gefühle hatte für die harten Jungs und ich mich schon mit ihnen auf der Notfall-Station im Spital sah, als beim Kampf die Füsse so wüst abknickten und der Hals sich fast um 180 Grad zu drehen schien. Männer, Muskeln, Schweiss, Kampf …. das löste bei mir erstmal keine Leidenschaft mehr aus. Herzrasen, gesteigerter Bluthochdruck, Glücksgefühle hin oder her … ich bin froh, dass ich eine Beziehung führe, die mir Sicherheit gibt. Auch so ein untrügliches Alterszeichen.

Ich geniesse es, im Altersheim mit meinem Schwiegervater unter dem Nussbaum draussen im Garten einen Kaffee zu trinken. Alles ist langsam dort. Kein Hornissennest. Die Bewohner bewegen sich langsam, sie sprechen langsam und sie denken langsam. Auch die Pflege arbeitet so wundervoll behutsam. Niemand ist laut hier und rennt die Treppe hinunter und knallt die Haustüre zu. Das Telefon ist mehrheitlich still. Nur der Fernseher ist zu laut. Aber meistens nicht am Nachmittag, wenn ich mit Chlous unter dem Nussbaum sitze.

Ich geniesse es, in den Zug zu sitzen und für mich einen Ausflug zu machen. Letzthin war ich unterwegs - ganz für mich alleine. Ich wollte nicht einmal mit meinem Mann um eine bestimmte Zeit mit dem Zug wieder nach Hause reisen. Ich wollte dann nach Hause, wenn ich es für richtig hielt. Das ist die neue Freiheit.

Ich geniesse es zu lesen, alles was mit Hunden zu tun hat einzusaugen, meinen Online-Shop zu betreiben, unser Haus immer wieder neu einzurichten, draussen zu sein und immer wieder ein wenig Pippi-sein zu pflegen.

Volià - ich hoffe, ihr tut das auch. Eine kleine Insel schaffen im Auge des Hurrikans.

Macht weiterhin die Welt, wie sie Euch gefällt. Genau, wie Pippi Langstrumpf. Mein grosses Vorbild - bis ins hohe Alter !

Foto 1: IMAGE - Iris Apfel
Foto 2: nachhaltigleben.ch